Segelanweisung für Islandreisende
Claus Tippel ist seit seinem Rentendasein überzeugter Einhand- und Langfahrtensegler und immer gut für spannende "Blinkfuer-Lektüre". In dieser Funktion schreibt er am 11. August 1996 auf Pos. 69° 21' N, 8° 31' E an Bord seines COLIN ARCHER - Selbstbaues "HEIDI" an unsere "Blinkfüer-Redaktion": Liebe Greta, lieber Werner, Ein Seemann kann auf allen Vieren, Das schrieb Bern Hardy mal so schön in einem Gedicht. Vor sechs Jahren saß ich auch auf der Schulbank und habe eifrig die Positionen nach den vom Lehrer vorgegebenen Daten errechnet. Mit ein bisschen Übung klappte das dann auch wunderbar und man wusste, wo man sich auf unserer Kugel befand. Leider sieht die Praxis aber doch reichlich anders aus. Auf der Hinfahrt nach Island habe ich acht Tage lang keinen Stern zu sehen bekommen und an vier Tagen hatten wir zwar gelegentlich Sonne, aber daraus eine brauchbare Position zu errechnen, ist doch recht illusorisch. Daher habe ich mir für die Reise nach Island eine erweiterte "Tütennavigation" errechnet. Also: man segelt zunächst ab Hamburg runter bis Elbe 1 und geht auf NW-Kurs. Die Köminsel passiert man auf Backbord- oder Steuerbordseite, sofern man nicht noch die Bestände an Hochprozentigem ergänzen muss. Ab da segelt man fünf Tage lang 350° nordwärts und geht danach auf Kurs 305°. Wenn dann nach ca. fünf bis sechs Tagen schneebedeckte Berge voraus auftauchen, hat man Island erreicht. Läuft man sodann in einen Fjord ein und findet eine mit Autoreifen gepolsterte Pier, an der man nach dem Festmachen zur Begrüßung einen großen Dorsch (von 50 cm an aufwärts) geschenkt bekommt, kann man ganz sicher sein. Zur Präzisierung der Position geht man ins Kauphus, das ist der örtliche Supermarkt, und entnimmt dem Aufdruck den Ortsnamen für die Eintragung in die Seekarte. Die Rückreise ist folgerichtig dasselbe in umgekehrter Reihenfolge - und wenn man zur Begrüßung an der Pier gleich nach dem Bezahlen einen Quittungsbeleg über die Hafengebühren erhält, weiß man, dass man wieder zu Hause ist. Da bei uns alles geordnet abläuft, ist die Quittung natürlich abgestempelt und man kann seine Position direkt aus dem Kassenzettel entnehmen und spart sich den Weg zum Kaufmann. - Also, es wird einem wirklich was geboten fürs Geld. Zu den angegebenen Zeiten wäre zu sagen, dass diese auf mein Schiff bezogen sind. Wenn man am Tresen zuhört, müssten die Schipper so was natürlich mindestens in der halben Zeit machen können, so schnell wie ihre Schiffe sind. Es sind ja nur 1200 Meilen ab Hamburg. Nun noch ein paar Tipps, falls das doch nicht ganz so hinhaut wie gedacht: Hört man nach drei Tagen hinter Helgoland Dudelsackmusik und es riecht nach Whisky, dann hat man 20° zu weit nach West gehalten und ist in Schottland. Hört man nach zirka vier Tagen Schafe blöken, hat man die Shetlands zu fassen, wo die gute Wolle herkommt. Taucht nach zirka sechs bis sieben Tagen eine Hügelformation am Horizont auf, zusammen mit regem Schiffsverkehr - Musikdampfern, Versorgungsschiffen für Bohrinseln und auch schon mal Trawlern der größeren Sorte- , so sind das die Faer Öer. Also, Kurs etwas korrigieren, sonst landet man womöglich in Neufundland. Weitere Hilfsmittel sind in der nördlichen Nordsee Bohrinseln, wovon man bei guter Sicht manchmal bis zu fünf Stück ausmachen kann. Hier kann man auch schon mal über Funk nach seiner Position fragen. Die einzige Gefahrenquelle sind eigentlich nur Wale. Wenn so ein Bursche mit klosettdeckelgroßen Nasenlöchern dicht neben einem auftaucht, kann man nur hoffen, dass es nicht ein älterer, kurzsichtiger Walbulle ist, der unser Schiff mit einer jungen, schlanken Walkuh verwechselt. Wenn der uns dann ein Küsschen gibt (oder reiben die ihre Nasen aneinander wie die Eskimos?), dürfte an Bord wohl einiges in Bruch gehen Claus Tippel |